Um die Frage „Kinderrechte im Grundgesetz zusätzlich festzuschreiben – inwiefern kann dies das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen den Rechten des Kindes, der Eltern und des Staates verändern?” zu beantworten, hatte der Berliner Kreis in der Union am Abend des 12. Februar 2020 zu einer Podiumsdiskussion eingeladen.
Klaus-Peter Willsch MdB, Sprecher des Berliner Kreises, begrüßte die gut 150 Teilnehmer an der Veranstaltung Berliner Kreis im Gespräch im Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin.
Dr. Mathias Höschel, Vorsitzender des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, wies in seinem Eingangsimpuls darauf hin, dass in gut 50 Jahren erst etwa 60-mal Änderungen am Grundgesetz vorgenommen wurden. Er mahnte, dass man dies nicht allzu leichtfertig tun solle.
„Kinderrechte sind im Grundgesetz geregelt und eine Veränderung wird in der Praxis deshalb keine Verbesserung, nur Verunsicherung schaffen.“
Das stellte die Familienpolitikerin Sylvia Pantel MdB, die ebenfalls Sprecherin des Berliner Kreises ist, in ihrem Statement klar. Sie vertrat die Meinung, dass Kinderrechte nicht zusätzlich ins Grundgesetz festgeschrieben gehören. Eltern sollten vorrangig für ihre Kinder verantwortlich bleiben und nicht der Staat. Es bestehe die Gefahr, dass zusätzliche Kinderrechte im Grundgesetz dem Staat mehr Befugnisse zusprechen könnten als für die Mehrzahl der Kinder gut ist. Zudem würde dies nur wenig an den konkreten Problemen von Kindern ändern. Stattdessen müssten beispielsweise die Jugendämter und andere Einrichtungen, die mit und für Kinder arbeiten, stärker unterstützt werden.
Pantel betonte: „Auch gibt die Kinderrechtskonvention nicht vor, Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben. Klar ist, dass die Kinderrechtskonvention schon seit Jahren an verschiedenen Stellen auf unterschiedlichen Ebenen in unser Recht hineinwirkt. Auch deshalb gibt es keinen zwingenden Grund, Kinderrechte in unserer Verfassung zusätzlich festzuschreiben.
Bestehende Umsetzungsprobleme sind nicht über das Grundgesetz zu lösen, sondern gehören auf die Ebene der einfachen Gesetzgebung und Umsetzung, beispielsweise in die Juristen- und Richterausbildung oder Erzieher- und Lehrerschulung. Hier sollten wir handeln.“
Über das Für und Wider diskutierten im Anschluss Prof. Dr. Gregor Kirchhof, Universität Augsburg, Birgit Kelle, Journalistin und Publizistin, Dr. Philipp B. Donath, Goethe-Universität Frankfurt und Dr. Sebastian Sedlmayr, UNICEF Deutschland. Moderiert wurde das Gespräch von Sylvia Pantel MdB.
Einig waren sich die Teilnehmer darin, dass es keine zwingende Notwendigkeit gibt, Kinderrechte zusätzlich im Grundgesetz festzuschreiben und dass es mit einer Änderung des Grundgesetzes zu keiner Veränderung des bisherigen Beziehungsdreiecks zwischen Kindern, Eltern und Staat kommen darf.
Der Grund für die Veranstaltung war das Vorhaben der Bundesregierung, zusätzlich Kinderrechte in unserer Verfassung zu verankern, da diese Forderung im Koalitionsvertrag steht. Dazu hatte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der eine umfangreiche Verfassungsergänzung in Art. 6 Grundgesetz vorsieht. Jedoch wurde dieser Vorschlag von allen Diskutierenden sehr kritisch gesehen.
Prof. Dr. Gregor Kirchhof stellte fest, dass Kinder bereits heute alle Grundrechte haben, da die Grundrechte des Grundgesetzes allgemein und für alle gelten. Deshalb würden keine spezifischen Kinderrechte benötigt. Auch viele Experten seien der Meinung, dass das Grundgesetz Kinder bereits sehr gut schütze. Der Staat solle zunächst nur darauf achten, dass Eltern ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern nachkommen. Damit würde der Staat eine sogenannte „Wächterfunktion“ einnehmen.
Wenn die Kinderrechte allerdings zusätzlich ins Grundgesetz kämen, hätte der Staat eine neue Aufgabe und somit mehr Einfluss auf die Erziehung der Kindern. Der Staat müsste dann nämlich jedes Grundrecht der Kinder explizit fördern. Dies führe zur Kollisionen insbesondere mit dem Elternrecht. Würde ein Kind beispielsweise an einer Demonstration teilnehmen, aber die Eltern wollen, dass es die Schule besucht, könnte der Staat dann eingreifen und für das Kind und gegen die Eltern entscheiden. Dadurch würden die Rechte, aber auch die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern, abgeschwächt.
Sollte es zu einer zusätzlichen Festschreibung im Grundgesetz kommen, die auch Prof. Kirchhof als schwierig und unnötig ansieht, würde man (Prof. Kirchhof folgend) folgenden Formulierungsvorschlag als Vorschlag zur Güte nennen:
Art. 6 Abs. 2GG sollte folgenden Wortlaut erhalten (Änderungen kursiv):
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Das Wohl und die Rechte der Kinder sind sorgsam zu achten und zu fördern. Über den Umgang mit Kindern wacht die staatliche Gemeinschaft.“ (1)
Birgit Kelle arbeitete heraus, dass es in Deutschland eigentlich keinen dramatischen Grund gäbe, sich mit der Frage von zusätzlichen Kinderrechten im Grundgesetz zu befassen. Wenn beispielsweise Richter die Rechte von Kindern nicht ausreichend beachten würden, dann müsse man in der Ausbildung der Richter daran arbeiten und nicht das Grundgesetz ändern. Am meisten sei Kindern deshalb geholfen, wenn man die Jugendhilfe besser ausstatten und die Ausbildung von Richtern verbessern würde. Sofern es Änderungen an Gesetzen brauchen sollte, müsste man diese am einfachen Recht, nicht aber im Grundgesetz vornehmen. Verfassungsänderungen würden an den konkreten Problemen auch nicht viel ändern.
Sie vertrat ebenfalls die Meinung, dass Eltern besser als der Staat wüssten, wie sie ihre Kinder erziehen. Deshalb würde sie auch keine Verschiebung der Kompetenzen von den Eltern zum Staat wollen. Kinderrechte im Grundgesetz könnten das allerdings bewirken. Der Staat habe schon genug Befugnisse. Beispielsweise würden in Deutschland jährlich im Schnitt etwa 50.000 Kinder aus ihren Familien genommen. Außerdem müsse in die Diskussion über Kinderrechte auch das Recht auf Leben von ungeborenen Kindern einbezogen werden.
Dr. Sebastian Sedlmayr betonte zunächst, dass Deutschland schon viel getan habe, um die Kinderrechtskonvention umzusetzen. Er halte die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz für ein gutes Signal, um zu zeigen, dass man die Rechte von Kindern ernst nehme. Allerdings warnte er, dass man bei der Formulierung im Gesetz darauf achten müsse, dass Eltern-Kind-Verhältnis nicht zu beschädigen.
Dr. Philipp B. Donath vertrat die Auffassung, dass man Eltern gegenüber dem Staat sogar stärken könne, wenn man die Kinderrechte richtig formulieren und an der richtigen Stelle im Grundgesetz positionieren würde. (2)
Der Staat dürfe keine weiteren Befugnisse erhalten, in das Verhältnis von Eltern und Kindern einzugreifen. Es solle so bleiben wie Stand jetzt, nämlich dass der Staat nur eingreifen darf, wenn das Kindeswohl ernsthaft gefährdet ist.
Kinderrechte, die im Grundgesetz verankert würden, seien ein gutes Signal an alle, die mit dem Recht arbeiten, wie z.B. Richter. Donath sieht Probleme bei der Umsetzung und Anwendung des Rechts, welche durch explizite Kinderrechte gelöst würden. Auch helfe eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, Änderungen an anderen Gesetzen einzusparen.
Die Videoaufnahme sehen Sie hier:
Teil 1: Klaus-Peter Willsch MdB, Sprecher des Berliner Kreises und Dr. Mathias Höschel, Vorsitzender des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, begrüßen die Teilnehmer.
Teil 2: Sylvia Pantel MdB, Sprecherin des Berliner Kreises, stellt die Diskussionsteilnehmer vor.
Teil 3: Es diskutieren: Prof. Dr. Gregor Kirchhof (Universität Augsburg), Birgit Kelle (Journalistin), Dr. Sebastian Sedlmayr (UNICEF Deutschland) und Dr. Philipp B. Donath, (Universität Frankfurt a. M.), Moderation: Sylvia Pantel MdB.
Erfahren sei mehr dazu unter:
(1) G. Kirchhof Kinderrechte 5. Februar 2020
(2) Donath – Handreichung für Berliner Kreis im Gespräch
Weitere Informationen:
https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/kindergrundrechte-und-grundgesetz
CDU 12.2.2020 Kindschaftsrechtsreform_